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Wo Licht ist, ist auch Schatten: Warum wir in Liebesbeziehungen so verletzlich
sind – 14.02.2025


Liebesbeziehungen sind eine der intensivsten Erfahrungen im Leben eines
Menschen. Sie bieten Nähe, Geborgenheit und Intimität, sind aber gleichzeitig auch
ein Ort, an dem wir unsere tiefsten Ängste, Schmerzen und Konflikte auf die
schwierigste Weise erleben können. Es scheint paradox: Gerade in den
Beziehungen, die uns am meisten Sicherheit und Vertrauen bieten, fühlen wir uns
manchmal am verletzlichsten. Warum genau ist das so? Warum kommen in
Liebesbeziehungen oft die unangenehmsten Seiten von uns zum Vorschein – wie
Eifersucht, Wut, Misstrauen oder Ängste?
Die Antwort auf diese Frage liegt in den tief verwurzelten emotionalen Mustern, die
wir oft aus der Kindheit mit uns tragen. Schon als Kinder waren wir mit einer Vielzahl
von Emotionen konfrontiert, die wir nicht immer ausdrücken konnten – sei es Wut,
Traurigkeit oder Angst. In vielen Fällen waren unsere Eltern oder Bezugspersonen
überfordert oder nicht in der Lage, diese Gefühle richtig zu verstehen und uns zu
helfen, sie zu verarbeiten. Aus diesem Grund mussten wir lernen, diese Emotionen
zu unterdrücken oder zu verdrängen, um den Anforderungen des familiären Umfelds
gerecht zu werden. Doch diese verdrängten Emotionen verschwinden nicht einfach.
Sie bleiben in unserem Inneren, verborgen, und beeinflussen unser Verhalten, auch
wenn wir uns dessen nicht bewusst sind.
Die Macht der Beziehung: Der sichere Raum für den Schatten
Eine enge, liebevolle Beziehung ist häufig der Raum, in dem diese unterdrückten
Anteile wieder an die Oberfläche kommen. Wenn wir uns sicher und geborgen
fühlen, öffnen sich oft die verborgenen Türen zu unseren inneren Ängsten und
Wunden. Ein Partner wird in vielen Fällen zur „Spiegeloberfläche“, die uns unsere
eigenen, ungelösten Themen zeigt. In diesem Moment erleben wir häufig ein Gefühl
der Überwältigung – als ob die negativen Emotionen, die wir lange in uns getragen
haben, plötzlich ohne Vorwarnung ins Bewusstsein dringen.
Oft merken wir nicht sofort, dass es sich um alte, unbewältigte Gefühle handelt, die
wieder aufsteigen. Stattdessen neigen wir dazu, in unseren Reaktionen den Partner
zu beschuldigen oder mit Ärger zu reagieren. Wir werfen dem anderen vor, uns zu
enttäuschen oder nicht genug zu tun, um unsere Bedürfnisse zu erfüllen. Dabei geht
es gar nicht um das Verhalten des Partners, sondern um unsere eigene, tief
verankerte Angst vor Verlassenheit, vor Ablehnung oder davor, nicht gesehen zu
werden. Diese Gefühle sind nicht neu – sie stammen aus unserer Vergangenheit. In
der Kindheit waren diese Ängste vielleicht mit einer unsicheren Bindung oder dem
Mangel an emotionaler Unterstützung verbunden.
Bindungsangst und Schutzmechanismen
In der Bindungstheorie wird erklärt, dass wir Menschen von Natur aus auf die
Sicherheit und Verlässlichkeit unserer Bezugspersonen angewiesen sind. Wenn wir
als Kinder emotional unzureichend versorgt wurden oder Bindungserfahrungen
traumatisch waren, entstehen sogenannte Bindungsverletzungen. Diese
Bindungswunden können dazu führen, dass wir in späteren Beziehungen immer
wieder auf bestimmte Schutzmechanismen zurückgreifen – etwa durch Eifersucht,
Misstrauen oder Rückzug. Es ist, als ob wir unbewusst versuchen, uns vor erneutem
Schmerz zu schützen.

Der Mensch reagiert auf Bindungsverletzungen oft mit einer der beiden
Grundstrategien: Entweder greifen wir an und zeigen unser Misstrauen offen, oder
wir ziehen uns zurück, um uns vor weiterem Schmerz zu bewahren. Beide
Reaktionen haben ihren Ursprung in einem tieferen Bedürfnis nach Sicherheit und
Schutz, das jedoch oft auf eine ungesunde Weise ausgedrückt wird. In vielen Fällen
können wir uns nicht einfach aus dieser Dynamik befreien – sie wiederholt sich
immer wieder, selbst wenn wir uns nach Harmonie sehnen. Und je mehr wir uns in
dieser destruktiven Schleife verlieren, desto mehr leiden wir unter dem Gefühl der
Ohnmacht und Unzufriedenheit.
Die heilende Kraft der Verletzlichkeit
Die gute Nachricht ist: Diese schmerzhaften Muster müssen nicht für immer
bestehen bleiben. In der Emotionsfokussierten Therapie (EFT), einem
therapeutischen Ansatz, der sich mit den zugrunde liegenden emotionalen
Bedürfnissen und Konflikten in Beziehungen beschäftigt, können diese ungesunden
Dynamiken aufgebrochen werden. EFT hilft Paaren, die tieferen Emotionen und
Bedürfnisse hinter ihren Reaktionen zu erkennen und auf eine gesunde,
empathische Weise zu kommunizieren.
Ein zentrales Ziel der EFT ist es, dass beide Partner ihre Verletzlichkeit zeigen –
nicht aus Schwäche, sondern als Stärke. Indem wir uns unseren eigenen Ängsten
und Unsicherheiten stellen, können wir auf einer tieferen Ebene miteinander in
Kontakt treten. Die Angst vor Ablehnung, die uns dazu bringt, uns zu verteidigen
oder anzugreifen, kann durch das Erkennen und Teilen unserer wahren Gefühle
aufgelöst werden. In der Therapie lernen wir, dass diese „hässlichen“ Emotionen –
Eifersucht, Wut, Angst – eigentlich ein Signal für unerfüllte Bedürfnisse und
Bindungsängste sind. Diese zu erkennen, anstatt sie zu verdrängen, eröffnet uns die
Möglichkeit, uns neu zu verbinden und alte Muster zu durchbrechen.
Veränderung ist möglich: Vom Schatten zum Licht
Es ist ein langer, aber lohnenswerter Prozess. Doch mit der Zeit können wir lernen,
alte Muster zu erkennen und neue, gesündere Verhaltensweisen zu entwickeln. Der
Schlüssel liegt darin, die zugrunde liegenden Ängste und Bedürfnisse zu erkennen
und in einem sicheren Rahmen zu kommunizieren. Wenn wir uns mit einem
vertrauensvollen Partner oder Therapeuten auf diese Reise der Selbstentdeckung
begeben, können wir lernen, unsere Wunden zu heilen und die Beziehungen zu
verändern, die wir heute führen.
Die Dynamik von Licht und Schatten ist ein unvermeidlicher Bestandteil der
menschlichen Erfahrung – besonders in unseren Liebesbeziehungen. Doch das Licht
der Liebe ist stärker als der Schatten unserer Ängste und Verletzungen. Wir können
uns verändern, wir können heilen. Beziehungen bieten den Raum, in dem wir nicht
nur den Schatten sehen, sondern auch das Licht, das er mit sich bringt. Indem wir
uns selbst und unseren Partnern gegenüber verletzlich werden, entdecken wir unser
wahres, liebenswertes Wesen – und schaffen die Grundlage für eine tiefere, heilende
Verbindung.
Liebesbeziehungen sind nicht nur eine Quelle von Freude und Glück, sondern auch
ein Spiegel für unsere tiefsten emotionalen Wunden. Doch genau dort, in der Nähe
des Partners, wo die Schatten unserer Vergangenheit sichtbar werden, liegt auch die
Chance zur Heilung. Indem wir lernen, uns selbst und unsere Bedürfnisse zu
verstehen und unsere Verletzlichkeit zuzulassen, können wir die destruktiven Muster
der Vergangenheit überwinden. Veränderung ist möglich, und jede Beziehung, die
wir führen, bietet uns die Möglichkeit, uns zu transformieren und in einem Raum von
wahrer Liebe und Verbundenheit zu wachsen.